Die (meist prädiktive) genetische Testung von Kindern ist besonders umstritten wegen der medizinischen, juristischen und psychologischen Probleme (s.a. Gentest Pro & Kontra). Eine prädiktive Testung sollte bei Kindern grundsätzlich nur erfolgen, wenn sich daraus eine wichtige medizinische bzw. therapeutische Konsequenz im Kindesalter ergibt. Bei ARVC spräche dafür, dass man beispielsweise durch das Wissen um eine Genvariante beim Kind mit einer bewussten Entscheidung gegen die Teilnahme an mittelgradig bis hoch intensivem Sporttraining ein Ausbrechen der Erkrankung verzögern oder möglicherweise sogar verhindern könnte. Mit einer von den Eltern entschiedenen prädiktiven Diagnostik wird dem Kind aber andererseits das Recht auf eine spätere bewusste Entscheidung genommen, verbunden mit nur schwer absehbaren seelischen Konsequenzen.
Manche Eltern mit einer ARVC-Genvariante fühlen sich besser, wenn sie wissen, ob ihr Kind betroffen ist oder nicht, auch weil dann klar ist, woran sie sind und ob sie auf die Gesundheit des Kindes ein besonderes Augenmerk haben müssen. Ein Gentest beim Kind kann ja auch in der Hälfte der Fälle eine große psychische Entlastung bedeuten, wenn er negativ ausfällt. In diesem Fall sind die Eltern erleichtert, dass sie die Mutation nicht weitervererbt haben und sich um das Kind keine Sorgen mehr machen müssen. Außerdem muss das Kind dann nicht mehr ständig kardiologisch kontrolliert werden.
Andererseits kann ein positiver Gentest des Kindes beim betroffenen Elternteil Ängste und Schuldgefühle auslösen. Manche Eltern möchten deshalb ihre Kinder nicht beunruhigen und ihnen (und damit auch sich selbst) eine unbeschwerte Kindheit und ein Heranwachsen ohne das Wissen um eine potentiell tödliche Krankheit zugestehen. Sie respektieren das Recht auf Nichtwissen und möchten das Kind entweder zu einem späteren Zeitpunkt testen oder aber es selbst entscheiden lassen, sobald es dazu die nötige Reife hat. Außerdem sind aus anderen Krankheitsbereichen Fälle bekannt, bei denen Kinder ihre Eltern verklagt haben, weil sie ihr Recht auf Nichtwissen durch eine genetische Testung im Kindesalter missachtet haben.
Beide Sichtweisen – die für und die gegen eine frühzeitige Testung – haben ihre Berechtigung. Im Zweifelsfall bleibt die genetische Testung von Kindern immer ein individueller Abwägungsprozess, der in enger Abstimmung zwischen Eltern, Genetikern, Kardiologen und wenn möglich Psychologen durchgeführt werden sollte. In jedem Fall sollten sich Eltern vor einer möglichen Testung bewusst sein, was für Konsequenzen sich aus einem positiven Test bei ihrem Kind ergeben und wie sie dann damit umgehen.
In die Entscheidung für oder gegen eine Testung des Kindes sollte man die spezielle Familienmutation und die Erkrankungsverläufe in der Familie einbeziehen. Insbesondere bei Familien, in denen aggressive Krankheitsverläufe bekannt sind, sollten Kinder entweder frühzeitig getestet oder aber regelmäßig ab dem 8.-10. Lebensjahr (ggf. auch früher) kardiologisch in einem erfahrenen Zentrum untersucht werden.
Mehr erfahren
FAQ Gentest bei Kindern – Häufig gestellte Fragen
Nein, zum momentanen Zeitpunkt nicht. Bei der Testung aus dem Fersenblut, das im Rahmen des Neugeborenenscreenings entnommen wird, werden derzeit nur wenige genetische Erkrankungen untersucht, der Schwerpunkt liegt auf Stoffwechselstörungen und hormonellen Erkrankungen.
Theoretisch wäre das möglich. Es gelten dabei alle Vor- und Nachteile einer Testung zu einem so frühen Zeitpunkt. Insgesamt müssen sämtliche Rahmenbedingungen (Beratungspflicht und Einwilligung mit Bedenkzeit etc.) (Verlinkung) für eine prädiktive Testung eingehalten werden. Man kann sich also nicht mal ganz schnell dafür entscheiden, sondern muss eventuelle Vorbereitungen bereits in der Schwangerschaft treffen. Manche Ärzte und Genetiker lehnen eine so frühe Testung ohnehin ab.
Eine elegante Lösung ist die Testung von Nabelschnurblut aus dem Mutterkuchen oder alternativ das Aufheben des Nabelschnurbluts für eine spätere Testung. Die meisten Genlabore bieten eine kostenlose Lagerung dafür an, wenn die Eltern bei ihrem Labor getestet wurden. Auch das muss bereits in der Schwangerschaft logistisch vorbereitet werden.
Es gibt Labore, die für Kinder eine genetische Diagnostik aus einem Wangenschleimhautabstrich oder aus Speichel ermöglichen, um ihnen eine Blutentnahme zu ersparen. Dies kann über den Hausarzt, Kardiologen oder Kinderarzt erfolgen, in anderen Ländern gibt es sogar Kits für zuhause, die man dann einschickt. Die DNA-Gewinnung ist aber aufwändiger und störanfälliger als aus Blut. Bestimmte spezielle Untersuchungen (insbesondere, wenn die Mutation noch gar nicht bekannt ist, also bei der diagnostischen Testung) sind nur aus einer Blutprobe möglich. Wenn nicht ausreichend DNA isoliert werden kann, muss der Test wiederholt werden oder doch auf eine Blutprobe (1 EDTA-Röhrchen) umgestiegen werden.
Beim Schleimhautabstrich sollten deshalb am besten mehrere konventionelle Wattestäbchen (unbedingt getrocknet!) per Post versandt werden, wenn die Testung nicht direkt im Genlabor selbst erfolgt.
Beim Speicheltest ist es wichtig, dass das Röhrchen bis zur Markierung aufgefüllt wird.
Die Sets sind teuer, ggf. muss der Aufpreis selbst bezahlt werden.
Erfreulicherweise wird die genetische Testung von Kindern in den neuen ESC-Kardiomyopathie-Leitlinien von 2023 als gemeinsame Entscheidung („shared decision making“) zwischen beratenden Ärzten bzw. Genetikern und Eltern unabhängig vom Alter des Kinds empfohlen. Auf diese aktuelle Leitlinie können sich Eltern berufen, die eine frühe Testung ihrer Kinder bevorzugen und damit nicht bis zum 10. Lebensjahr warten wollen.
Die ESC-Leitlinien zur genetischen Testung von 2022 und frühere Konsensuspapiere sehen eine Testung von Kindern tatsächlich erst ab dem 10. – 12. Lebensjahr vor. Die ARVC-Selbsthilfe hält diesen Zeitpunkt für zu spät, da wichtige Weichenstellungen z.B. bezüglich des Sportverhaltens aus unserer Sicht früher sinnvoll sind. Zudem gibt es in seltenen Einzelfällen einen frühen Erkrankungsausbruch auch bei jüngeren Kindern.
Wir setzen uns dafür ein, dass Kinder dann getestet werden, wenn die Eltern es für richtig halten, ganz unabhängig vom Alter. Manche Eltern wollen möglichst früh Gewissheit haben, andere das möglicherweise einschneidende Ergebnis nach hinten schieben.
Es gibt Ärzte, die sogar raten, eine Testung erst vorzunehmen, wenn das Kind selbst einwilligungsfähig ist. In der Regel gelten Jugendliche ab dem 16., definitiv ab dem 18. Lebensjahr als einwilligungsfähig, ggf. auch schon ab dem 14. Lebensjahr, wenn der Arzt sich davon überzeugt hat, dass das Kind geistig reif genug ist und die Sachlage nachvollziehen kann. Wir halten die Testung erst in diesem Alter eindeutig für zu spät.
Unklar bleibt derzeit, welcher Arzt/Ärztin/Genetiker/Genetikerin welcher Leitlinie folgen wird. Die meisten Genlabore sind aber mittlerweile offen für die Wünsche der Eltern.
Immer sinnvoll ist eine genetische Testung von Kindern dann, wenn es auffällige Herzsymptome hat.
Dafür gibt es keine gesetzlichen Vorgaben. In der Regel gelten Jugendliche ab dem 16., definitiv ab dem 18. Lebensjahr als einwilligungsfähig, ggf. auch schon ab dem 14. Lebensjahr, wenn der Arzt sich davon überzeugt hat, dass das Kind geistig reif genug ist und die Sachlage nachvollziehen kann.
Je älter das Kind, desto sinnvoller ist es, es in die Entscheidung mit einzubeziehen. Theoretisch können aber die Eltern bei einem unter 18-Jährigen entscheiden, ob der Gentest gemacht werden soll oder nicht.
Das ist eine Situation, in der viele Ärzte oder Genetiker mittlerweile zu einer frühzeitigen Testung raten, wenn ein Elternteil eine krankheitsverursachende Genvariante in sich trägt. Insbesondere in sehr sportlichen Familien, wenn eine Anmeldung des Kinds im Sportverein erfolgen soll, kann das Wissen um das Vorhandensein einer ARVC-Genvariante bei der Entscheidungsfindung helfen. Wichtig ist das besonders, wenn es um Leistungssport oder hochintensiven Sport geht. Ein gennegatives Kind kann man bedenkenlos anmelden, bei einem genpositiven Kind würde man davon abraten.
Gendiagnostik bei kardiovaskulären Erkrankungen – Konsensuspapier der Deutschen Gesellschaft für Kardiologie (DGK), der Gesellschaft für Humangenetik (GfH) und der Deutschen Gesellschaft für Pädiatrische Kardiologie (DGPK)
Schulze-Bahr E, Klaassen S, Gerull B et al., Kardiologie 2023; 17:300–349
https://doi.org/10.1007/s12181-023-00622-3
Pocket-Leitlinie: Kardiomyopathien - Leitlinien für das Management von Kardiomyopathien (Version 2023)
Meder B, Eckardt L, Falk V et al. Deutsche Gesellschaft für Kardiologie – Herz- und Kreislaufforschung e.V. (2023) - ESC Pocket Guidelines, Börm Bruckmeier Verlag GmbH
https://leitlinien.dgk.org/2024/pocket-leitlinien-kardiomyopathien-version-2023/
2023 ESC Guidelines for the management of cardiomyopathies
Arbelo E, Protonotarios A, Gimeno JR et al. ESC Scientific Document Group, Eur Heart J. 2023 Aug 25:ehad194
https://doi.org/10.1093/eurheartj/ehad194
Vortrag „Genetik bei ARVC“
Prof. Dr. med. Eric Schulze-Bahr, Institut für Genetik von Herzerkrankungen, Universitätsklinikum Münster
Symposium "ARVC-Selbsthilfe trifft Fachwissen", München, 17.06.2023
https://www.youtube.com/watch?v=XprLLxfLHso
Vortrag „ACM: Kausale Gene, Umgang mit Varianten unklarer Signifikanz (VUS) und genetische Diagnostik bei Kindern“
PD Dr. med. Dominik Westphal, Munich Consortium des European Reference Networks ERN GUARD-Heart, Klinikum Rechts der Isar der TU München
Symposium "ARVC-Selbsthilfe trifft Fachwissen", München, 16.06.2023
https://www.youtube.com/watch?v=XprLLxfLHso
Pocket-Leitlinie: Ventrikuläre Arrhythmien und Prävention des plötzlichen Herztodes (Version 2022)
Eckardt L, Bosch R, Falk V, et al. Deutsche Gesellschaft für Kardiologie – Herz- und Kreislaufforschung e.V. (2023) - ESC Pocket Guidelines, Börm Bruckmeier Verlag GmbH
https://leitlinien.dgk.org/2023/pocket-leitlinie-ventrikulaere-arrhythmien-und-praevention-des-ploetzlichen-herztodes-version-2022/
2022 ESC Guidelines for the management of patients with ventricular arrhythmias and the prevention of sudden cardiac death
Zeppenfeld K, Tfelt-Hansen J, de Riva M et al. Eur Heart J. 2022 Oct 21;43(40):3997-4126
https://doi.org/10.1093/eurheartj/ehac262
European Heart Rhythm Association (EHRA)/Heart Rhythm Society (HRS)/Asia Pacific Heart Rhythm Society (APHRS)/Latin American Heart Rhythm Society (LAHRS) Expert Consensus Statement on the State of Genetic Testing for Cardiac Diseases
Wilde AAM, Semsarian C, Márquez MF et al. Heart Rhythm. 2022 Jul;19(7):e1-e60
https://doi.org/10.1016/j.hrthm.2022.03.1225
2019 HRS expert consensus statement on evaluation, risk stratification, and management of arrhythmogenic cardiomyopathy
Towbin JA, McKenna WJ, Abrams DJ et al. Heart Rhythm Volume 16, ISSUE 11, e301-e372, November 01, 2019
https://doi.org/10.1016/j.hrthm.2019.05.007
Vortrag „Genetik bei ARVC, molekulare Autopsie und Register“
Prof. Dr. rer. nat. Hendrik Milting, Kardiogenetik Herz- und Diabeteszentrum Bad Oeynhausen
Prof. Dr. Peter van Tintelen, Kardiogenetik, UMC Utrecht, Niederlande
Symposium "ARVC-Selbsthilfe trifft Fachwissen", München, 23.02.2019
Vortragsfolien
https://www.youtube.com/watch?v=PzkIJuaihoQ
Arrhythmogenic Right Ventricular Cardiomyopathy: An Update on Pathophysiology, Genetics, Diagnosis, and Risk Stratification
Paul M, Wichter T, Fabritz L et al. Herzschrittmacherther Elektrophysiol. 2012 Sep;23(3):186-95
https://doi.org/10.1007/s00399-012-0233-7
Die arrhythmogene rechtsventrikuläre Dysplasie/Kardiomyopathie
Saguner A, Brunckhorst C, Duru F. Cardiovascular Medicine 2011; 14 (11): 303-314
https://cardiovascmed.ch/article/doi/cvm.2011.01623
Letzte Aktualisierung: 01.10.2024
Die Informationen dieser Website ersetzen keine ärztliche Beratung. Jeder Fall ist individuell. Gesamteinschätzung, Diagnose und Auswahl einer angemessenen Therapie gehören daher immer in die Hände eines erfahrenen Arztes. Gerne helfen wir, Kontakt zu Experten herzustellen, insbesondere auch, wenn es Probleme mit der genetischen Diagnostik gibt.