Herausfor-
derungen

im psychischen Umgang mit ARVC

Zusammenhang zwischen Herz und Psyche

Im Sprachgebrauch hat sich der Zusammenhang zwischen Herz und Psyche längst manifestiert: bei Angst „schlägt das Herz bis zum Hals“, bei Depression wird „das Herz schwer“, in traumatischen Situationen ist „das Herz in die Hose gerutscht“.

Lesen Sie hier mehr über das komplexe Zusammenspiel zwischen Herz und Psyche und die Fachdisziplin der Psychokardiologie: 

 Was ist Psychokardiologie

Psychische Herausforderungen bei ARVC/ ACM

Unserer Erfahrung nach durchlaufen Betroffene und Angehörige vor allem nach Bekanntwerden der Erkrankung eine Phase intensiver Beschäftigung mit dem Thema ARVC/ ACM. Auch im Verlauf der Erkrankung kann es zu psychischen Belastungen kommen, z.B. wenn sich die Krankheit spürbar verschlechtert, sich neue Fragestellungen ergeben oder Erinnerungen an alte Erfahrungen wach werden. 

Während manche Personen eine starke Ausrüstung mitbringen, die neuen Herausforderungen zu bewältigen und zu verarbeiten, können andere Personen psychische Begleiterkrankungen, wie Ängste, Depressionen oder posttraumatische Belastungsstörungen (PTBS) entwickeln. Das Risiko hierfür kann durch bereits vorhandene psychische Erkrankungen, Persönlichkeitsstörungen oder -merkmale verstärkt werden.

“Eine zentrale Herausforderung ist es, das eigene Risiko gegenüber Wünschen, Träumen und Erwartungen an die eigene Lebensqualität abzuwägen.”
Korbinian S. (Betroffener)

 
Folgende Themen können dabei für Betroffene einen zentralen Einfluss auf die psychische Befindlichkeit haben:

Manche Patienten erhalten eine ARVC-Diagnose im Zusammenhang mit traumatischen und einschneidenden Lebensereignissen, beispielsweise einem überlebten plötzlichen Herztod oder dem plötzlichen Herztod einer nahestehenden Person. Für Betroffene und Angehörige ist dies eine tiefgreifende Erfahrung. In manchen Fällen kann die psychische Auseinandersetzung mit der eigenen Diagnose zudem unmittelbar mit dem Verarbeiten eines Trauerfalls verbunden sein.

Eine ARVC wird häufig durch Vorfälle bei sportlichen oder körperlichen Aktivitäten diagnostiziert. Oft sind gerade junge und nach außen hin scheinbar gesunde Menschen betroffen. Sie werden dadurch verhältnismäßig früh mit Herzproblemen konfrontiert und finden sich plötzlich in kardiologischen Praxen und Kliniken wieder, in welchen in der Regel eher ältere Patienten mit Herzinfarkten und koronarer Herzerkrankung behandelt werden. Junge Betroffene stehen Problemen gegenüber, die normalerweise in dieser Lebensphase nicht vorkommen.

Manch ein Lebensentwurf erscheint vor dem Hintergrund der Erkrankung nicht mehr realisierbar. Die Diagnose kann Einschränkungen in Beruf, Familienalltag und Freizeit nach sich ziehen. Dadurch kann der Selbstwert stark beeinträchtigt werden und oft ist es eine längerfristige Aufgabe, die eigene Identität neu auszuloten ("wer bin ich noch, wenn ich nicht mehr Fußball spielen kann? Wer bin ich, wenn ich meinem Beruf, den ich mit voller Leidenschaft ausgeübt habe, nicht mehr nachgehen kann?").

Ist der erste Fall in der Familie diagnostiziert, schließt sich die Frage an: gibt es evtl. weitere Betroffene? Hier können Familienmitglieder ganz unterschiedliche Ansichten und Bedürfnisse hinsichtlich Diagnostik und Krankheitsbewältigung entwickeln. Die Krankheit kann sowohl den Zusammenhalt innerhalb der Familie fördern, als auch zu sehr belastenden Konflikten führen. 

Bei Anlageträgern einer ARVC-verursachenden Genvariante können Schuldgefühle gegenüber ihren Kindern, denen sie die Genvariante weiter vererbt haben, entstehen.

Spürbare und andauernde Herzrhythmusstörungen können psychisch sehr belastend sein. Insbesondere wenn die Rhythmusstörungen in eigentlichen Ruhephasen auftreten, ist dies oft zermürbend. Nicht selten werden dabei auch Erinnerungen an prägende Phasen der Erkrankung geweckt, was zusätzlich Ängste auslöst.

In einigen Fällen ist es schwierig zu differenzieren, ob Rhythmusstörungen körperlich oder psychisch bedingt sind (z.B. durch eine Panikattacke). 

Die Sorge vor Arrhythmien führt in manchen Fällen zudem zu einem verstärkten "In-sich-Horchen" und einer verstärkten Wahrnehmung des eigenen Herzschlags.

Sowohl der Entscheidungsprozess bis zur Implantation eines Defibrillators, als auch das Leben mit dem “Fremdkörper”, sind oft mit psychisch anstrengenden Anpassungen verbunden (Körperbild; Unsicherheit: Leben zwischen “Risiko Tod” vs. “Risiko Schock”).

Eine Schockabgabe verarbeitet nicht jeder Patient auf gleiche Art. Während einige Betroffene ein solches Erlebnis relativ gut wegstecken, können (vor allem fälschlicherweise ausgelöste) Schocks, die bei vollem Bewusstsein erlebt werden, nachhaltig in Erinnerung bleiben: die Angst, dass eine ähnliche Situation wieder auftritt und keine Hilfe da ist oder die Angst, einen solchen Kontrollverlust ein weiteres Mal zu erleben, können den Alltag stark beeinträchtigen.

ARVC/ ACM ist eine chronische Erkrankung. Einige Faktoren, die zu einer Verschlechterung der Krankheit beitragen können, sind zwar bekannt, aber nach wie vor lässt sich daraus schwer eine konkrete Empfehlung für jeden Einzelnen ableiten. So hören ARVC-Patienten oft die Aussage, dass Ereignisse „eintreten können, jedoch nicht müssen“. Dieses (un-)bekannte Risiko kann stark verunsichern und es schwierig machen, wieder Vertrauen in das Leben und den eigenen Körper zu gewinnen.

Viele Betroffene lernen auf dem Weg zur Diagnose "ARVC/ ACM" und auch im Laufe der Behandlung eine beachtliche Anzahl verschiedener Ärzte und Krankenhäuser kennen - und das in einem oft körperlich und psychisch geschwächten Zustand. 

Häufig ist die Erkrankung in den Institutionen unbekannt und nicht jeder Behandler bringt das gleiche Maß an Empathie mit. Immer wieder ist es nötig, die Krankheitsgeschichte neu wiederzugeben, wenn zuständige Ärzte wechseln. 

Organisatorische Schwierigkeiten (z.B. ausbleibende Arztbriefe, die dringend benötigt werden, mangelnder Informationsfluss und Kommunikation seitens Praxen oder Kliniken, keine Kommunikation unter Fachärzten etc.) können in Situationen der Unsicherheit zur Verzweiflung bringen und das Gefühl, in der eigenen Not nicht gesehen zu werden, verstärken. 

Auch eine lange Suche nach Experten und einer erklärenden Diagnose zu den vorhandenen Beschwerden, sowie medizinische Behandlungen, die als traumatisierend erlebt werden, führen letztendlich oft zu einem Vertrauensverlust in die medizinische Expertise.

Das Vertrauen in den eigenen Körper und die eigene Wahrnehmung kann grundlegend beeinträchtigt werden, wenn vorhandene Symptome bis zur eindeutigen Diagnose nicht ernst genommen wurden. Manchmal entsteht eine große Unsicherheit im Bezug auf das eigene Körperempfinden. Einerseits kann das eine übergroße Angst sein, dass Anzeichen für eine Verschlechterung nicht rechtzeitig erkannt werden, andererseits auch ein Misstrauen in Bezug auf die eigenen Empfindungen: bilde ich mir die Beschwerden nur ein? Das erfordert einen neuen Umgang mit dem eigenen Körper, und ein immer besseres Gespür dafür, was im Rahmen der Erkrankung "normal" ist.

Allgemeine und übliche Therapiehinweise der Kardiologie, die Herzpatienten zum Sport oder zu körperlicher Bewegung animieren, treffen auf ARVC-Patienten nur bedingt zu. 

Da das Thema Lifestyle und Sport heute überstark in Medien, von Krankenkassen, Zeitschriften etc. propagiert wird, erfordert es für entsprechend "anfällige" Charaktere umso mehr Mut, Selbstfürsorge und Abgrenzung, sich diesen allgemeinen Empfehlungen zu widersetzen - und dennoch anzuerkennen, dass sie für den Großteil der Bevölkerung immens wichtig sind.

Für ARVC-Patienten geht es darum, individuell auszuloten, welche sportliche Belastung (Art des Sports und Intensität) medizinisch vertretbar ist. Dabei ist es wichtig, sich nicht mit anderen (gesunden) Personen zu vergleichen oder an früheren Leistungen zu messen.   


Letzte Aktualisierung: 07.10.2024

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