FAMILIEN-
PLANUNG

Junge Paare, von denen ein Partner ARVC hat, haben viele Fragen zum Thema Familienplanung. Sind aus privaten, beruflichen oder gesundheitlichen Gründen (erst einmal) keine Kinder geplant, geht es um die Auswahl der Verhütungsmethode. Besteht Kinderwunsch, dreht sich alles um die Vererbbarkeit der Erkrankung, die Möglichkeit einer Präimplantationsdiagnostik (PID) und eine optimale Beratung und Diagnostik im Vorfeld zur Planung einer sicheren Schwangerschaft.

Verhütung

Alle ARVC-Patientinnen im gebärfähigen Alter und ihre Partner sollten grundsätzlich über sichere und effektive Möglichkeiten der Verhütung aufgeklärt werden.

Grundsätzlich stehen natürlich alle nicht-hormonellen Methoden zur Verfügung wie zum Beispiel die Kupferspirale oder die etwas unsichereren Barrieremethoden wie z.B. Kondome oder Diaphragma.

Die Pille gilt aber immer noch als eine der sichersten Verhütungsmethoden überhaupt. Allerdings ist bekannt, dass die Pille das Thromboserisiko zum Teil deutlich erhöhen kann. Für ARVC-Patientinnen kann dies unter Umständen gefährlich werden, insbesondere wenn bereits Vorhofflimmern, andere Vorhofarrhythmien (supraventrikuläre Arrhythmien), ein Thrombus in der rechten Herzkammer wegen der für ARVC typischen Wandbewegungsstörungen oder allgemein viele Herzrhythmusstörungen vorliegen. Dann besteht theoretisch die Gefahr eines Schlaganfalls. Bei Vorhofflimmern müssen oft Blutverdünner eingenommen werden, um das Schlaganfallrisiko zu minimieren.
Deshalb ist die konventionelle Pille bei ARVC-Patientinnen mit Symptomen möglicherweise weniger gut geeignet, auch wenn es dazu keine Studien gibt.

Es gibt aber die Möglichkeit, eine sichere hormonelle Verhütung ohne erhöhtes Thromboserisiko zu erreichen.

Was: Östradiol-Gel, -Pflaster oder -Spray, kombiniert mit dem Gestagen Chlormadinonacetat in Tablettenform.
Die Anwendung des Östrogens über die Haut (statt als Tabletten) hat den Vorteil, weniger Nebenwirkungen und ein geringeres Thromboserisiko nach sich zu ziehen. Außerdem kann es sehr individuell dosiert werden.

Da die Gestagen-Tabletten nicht – wie bei der konventionellen Pille üblich – mit den Wochentagen auf dem Blister versehen sind, pausiert man zum besseren Merken Gel/Spray und Tabletten am besten immer am 1.-4. Tag des Monats. Insgesamt ergibt sich dann ein leicht verlängerter Zyklus von 30-31 Tagen je nach Länge des jeweiligen Monats. In der Pause tritt dann in der Regel eine Blutung ein, und man beginnt nach der Pause am Tag 5 wieder mit der Medikation, egal ob die Blutung noch anhält oder nicht. Oder man pausiert flexibel immer 4 Tage, sobald eine Blutung eintritt.
Chlormadinonacetat hat außerdem eine anti-androgene Wirkung, das heißt, es unterdrückt das auch bei Frauen vorhandene männliche Hormon Androgen. Da es Überlegungen gibt, dass möglicherweise Androgene bei ARVC dazu führen, dass Männer öfter und schwerer erkranken, könnte das ein zusätzlicher positiver Effekt sein (neben den anderen bekannten wie Besserung von Regelschmerzen und Brustspannen, Verbesserung von Akne, Seborrhoe, Haarausfall und männlichem Behaarungstyp).
Diese Alternative ist teurer, komplizierter in der Anwendung, aber gut erprobt bei Thrombose- und Schlaganfallrisiko.

Was: Die relativ neue östrogenfreie Pille mit dem Wirkstoff Drospirenon (Slinda®)

Östrogenfreie Pillen dürfen auch bei erhöhtem Thromboserisiko verwendet werden.
Diese Pille wird einmal täglich über 24 Tage mit darauffolgenden 4 Tagen Pause eingenommen, was zu einem normalen 28-Tage-Zyklus führt.

Allerdings liegen für das neue Präparat noch keine Erfahrungen vor, und östrogenhaltige Pillen mit Drospirenon als zweitem Wirkstoff hatten in der Vergangenheit ein erhöhtes Thromboserisiko gegenüber anderen Gestagenkomponenten gezeigt. Außerdem unterdrücken reine Gestagenpräparate die Östrogene, die bei ARVC möglicherweise protektiv wirken.

Diese Alternative ist kostengünstiger, einfacher in der Anwendung, aber weniger erprobt.

Manche ARVC-Patientinnen reagieren auf hormonelle Veränderungen mit einer deutlichen  Zunahme ihrer Herzrhythmusstörungen. Sprechen Sie deshalb Änderungen in der Medikation und eine eventuelle hormonelle Verhütung unbedingt mit Frauenarzt/-ärztin und Kardiologen/in ab und lassen Sie ggf. kurzfristig ein Langzeit-EKG durchführen, um eventuelle Veränderungen (z.B. zunehmende Arrhythmien, Veränderungen der QT-Zeit) frühzeitig aufzuspüren.

Vererbungsrisiko

Da ARVC in der Regel autosomal-dominant vererbt wird, wird rein statistisch bei einer nachgewiesenen ARVC-Genvariante jeder zweite Nachkomme diese Genveränderung erben. Das heißt aber nur, dass das Kind mit der vererbten Genvariante die Anlage für ARVC in sich trägt; es sagt  überhaupt nichts darüber aus, ob es später einmal daran erkranken wird. Lesen Sie mehr zu diesem Thema auf unserer Seite zur Genetik (Verlinkung). Zum Risiko der Vererbung sollte im Vorfeld einer Schwangerschaft idealerweise eine genetische Beratung stattfinden.

Wenn man sich also Kinder wünscht, gibt es mehrere Möglichkeiten, mit der Thematik umzugehen:

  • man entscheidet sich bewusst für ein Kind, das möglicherweise die Genvariante in sich trägt – die Hälfte der Kinder sind statistisch gesehen gesund und ein Kind, das die Mutation in sich trägt, kann, muss aber nicht später an ARVC erkranken
  • man lässt das Thema einfach auf sich zukommen, ohne sich groß Gedanken darüber zu machen
  • man entscheidet sich bewusst dagegen, Kinder zu bekommen, weil man das Risiko nicht eingehen möchte
  • man beantragt eine Präimplantationsdiagnostik (PID), um die Weitergabe der Genvariante von vornherein zu verhindern

Manche ARVC-Betroffene erfahren erst während oder nach einer Schwangerschaft, dass sie selbst oder der Partner/die Partnerin an ARVC erkrankt oder von einer ARVC-Genvariante betroffen sind. Von den werdenden Eltern, die bereits vor der Schwangerschaft wussten, dass einer von ihnen Genvariantenträger ist, entscheiden sich tatsächlich die meisten für eine natürliche Schwangerschaft. Immerhin ist die Wahrscheinlichkeit, dass das Kind NICHT betroffen ist, 50%, und selbst wenn es Genvariantenträger sein sollte, muss es nicht unbedingt an ARVC erkranken im Laufe seines Lebens.

Beratung und Diagnostik vor einer Schwangerschaft

Paare, die eine Schwangerschaft planen, sollten idealerweise bereits im Vorfeld eine genetische Beratung (s.o.) erhalten, um sich umfassend über das Risiko der Vererbung einer nachgewiesenen familiären ARVC-Genvariante auf das Kind und die Möglichkeiten von Präimplantationsdiagnostik (PID) und Pränataldiagnostik informieren zu können. Bei der Beratung sollten individuelle Betroffenheit und Einstellung, aber auch kulturelle, religiöse und rechtliche Aspekte berücksichtigt werden. 

Ist die zukünftige Mutter die ARVC-Betroffene, sollte ebenfalls noch vor der Schwangerschaft ein kompletter kardiologischer Check-Up mit EKG, Ultraschall (Echo) und/oder MRT und Belastungs-EKG zur Risikoeinschätzung erfolgen. Wichtig ist dabei die Arztwahl  und die Suche nach Unterstützung (zum Beispiel von einer erfahrenen Hebamme). Mehr dazu finden Sie unter der Rubrik “Tipps für Schwangere“.

Eine Beratung durch ein multidisziplinäres Team wäre der Idealfall, um das Risiko einer Schwangerschaft für die werdende Mutter bewerten, Fragen zur Medikamentenauswahl und -einstellung bzw. ggf. Fragen zum ICD und sonstigen diagnostischen und therapeutischen Maßnahmen zu erörtern. Es wird empfohlen, das Risiko nach der modifizierten Klassifikation der World Health Organization zu mütterlichen kardiovaskulären Risiken einzuschätzen (mWHO-Klassifikation). Außerdem sollte die Betreuung in der Schwangerschaft durch einen Arzt/eine Ärztin des Vertrauens und die Auswahl einer geeigneten Geburtsklinik geplant werden. Mehr dazu finden Sie in der Rubrik “Schwanger mit ARVC – Medizinische Aspekte“.

Unserer Erfahrung nach existieren solche Teams aus Kardiologen, Gynäkologen und Geburtshelfern, wie sie in Leitlinien empfohlen werden, in Deutschland nur selten.

Präimplantationsdiagnostik (PID)

Es gibt eine beschwerliche, eher unromantische und teure Möglichkeit, Kinder zu bekommen, die nicht von ARVC betroffen sind: die Präimplantationsdiagnostik (PID, engl. preimplantation genetic diagnosis oder PGD). Das ist die genetische Untersuchung von Zellen eines durch künstliche Befruchtung erzeugten Embryos. Diesem werden in einem sehr frühen Entwicklungsstadium Zellen entnommen und auf die bekannte familiäre ARVC-Genvariante untersucht. Anschließend werden nur Embryonen in die Gebärmutter eingesetzt, die die Genvariante nicht aufweisen.

Wenn Sie selbst mit dem Gedanken an eine PID spielen, können Sie hier mehr zu Rechtslage und Vorgehensweise erfahren.

Sollten Sie sich mit einem von ARVC betroffenen Paar, dem eine PID genehmigt wurde, zu deren persönlichen Erfahrungen austauschen wollen, dann schreiben Sie gerne eine E-Mail an pid@arvc-selbsthilfe.org.

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FAQ Familienplanung – Häufig gestellte Fragen

Nein, die PID ist keine Kassenleistung. Die wenigen unserer Mitglieder, die eine PID beantragt und genehmigt bekommen haben, sprechen von ca. 10.000 - 20.000 € Kosten. Das kann sich leider nicht jeder Betroffene leisten. Einige Betroffene nehmen aber diese hohen Kosten auf sich, um sicher ein gesundes Kind zu bekommen, das nie ARVC haben wird.

Ja, nach einem Urteil des Bundesfinanzhofs vom 29.02.2024 sind Kosten einer PID im Falle einer übertragbaren Genvariante eines Elternteils als außergewöhnliche Belastungen von der Steuer absetzbar.
https://www.bundesfinanzhof.de/de/entscheidung/entscheidungen-online/detail/STRE202410081/

Bei der Präimplantationsdiagnostik (PID) wird im Rahmen einer künstlichen Befruchtung der Embryo noch vor dem Einsetzen in die Gebärmutter im „Reagenzglas“ auf die bekannte familiäre Genvariante untersucht. Anschließend werden nur Embryonen in die Gebärmutter eingesetzt, die die Genvariante nicht aufweisen.

Bei der Pränataldiagnostik wird bei einer bereits bestehenden Schwangerschaft der Embryo auf die bekannte familiäre Genvariante untersucht. Diese Untersuchung sollte, wenn sie erwünscht ist, möglichst früh in der Schwangerschaft stattfinden. Hier geht es in erster Linie um die Fortsetzung einer bestehenden Schwangerschaft.

Bitte beachten Sie, dass sich im Bereich der PID und Genetik sehr viel verändert und die Inhalte von Vorträgen oder Artikeln bereits überholt sein können. Pocket-Leitlinie: Kardiomyopathien - Leitlinien für das Management von Kardiomyopathien (Version 2023) Meder B, Eckardt L, Falk V et al. Deutsche Gesellschaft für Kardiologie – Herz- und Kreislaufforschung e.V. (2023) - ESC Pocket Guidelines, Börm Bruckmeier Verlag GmbH https://leitlinien.dgk.org/2024/pocket-leitlinien-kardiomyopathien-version-2023/ 2023 ESC Guidelines for the management of cardiomyopathies Arbelo E, Protonotarios A, Gimeno JR et al. ESC Scientific Document Group, Eur Heart J. 2023 Aug 25:ehad194 https://doi.org/10.1093/eurheartj/ehad194 Pocket-Leitlinie: Ventrikuläre Arrhythmien und Prävention des plötzlichen Herztodes (Version 2022) Eckardt L, Bosch R, Falk V, et al. Deutsche Gesellschaft für Kardiologie – Herz- und Kreislaufforschung e.V. (2023) - ESC Pocket Guidelines, Börm Bruckmeier Verlag GmbH https://leitlinien.dgk.org/2023/pocket-leitlinie-ventrikulaere-arrhythmien-und-praevention-des-ploetzlichen-herztodes-version-2022/ 2022 ESC Guidelines for the management of patients with ventricular arrhythmias and the prevention of sudden cardiac death Zeppenfeld K, Tfelt-Hansen J, de Riva M et al. Eur Heart J. 2022 Oct 21;43(40):3997-4126 https://doi.org/10.1093/eurheartj/ehac262 Decision-making and experiences of preimplantation genetic diagnosis in inherited heart diseases: a qualitative study Yeates L, McDonald K, Burns C et al. Eur J Hum Genet. 2021 Sep 21 https://doi.org/10.1038/s41431-021-00963-1 “Endovision” – Kasuistiken, spezielle Fälle und Fragen Online-Fortbildung bzw. -Sprechstunde mit Dr. Katrin Schaudig, gynäkologische Endokrinologin in Hamburg am 31.08.2021 https://www.hormone-hamburg.de/online.html Bayerische Ethikkommission für Präimplantationsdiagnostik – 811 Entscheidungen in fünf Jahren Genzel-Boroviczeny O, Bäuml J, Bannasch T et al. Dtsch Arztebl Int 2021; 118: 37-8 https://www.aerzteblatt.de/archiv/217397 Präimplantationsdiagnostik: Steigende Zahlen zu verzeichnen Dtsch Arztebl 2020; 117(5): A-184 / B-166 / C-162 https://www.aerzteblatt.de/archiv/212311 Zweiter Bericht der Bundesregierung über die Erfahrungen mit der Präimplantationsdiagnostik Bericht des Bundesgesundheitsministeriums https://www.bundesgesundheitsministerium.de/fileadmin/Dateien/3_Downloads/P/PID/2._PID-Bericht_der_Bundesregierung.pdf 2019 HRS expert consensus statement on evaluation, risk stratification, and management of arrhythmogenic cardiomyopathy Towbin JA, McKenna WJ, Abrams DJ et al. Heart Rhythm. 2019 Nov;16(11):e301-e372 https://doi.org/10.1016/j.hrthm.2019.05.007 Sex hormones affect outcome in arrhythmogenic right ventricular cardiomyopathy/dysplasia: from a stem cell derived cardiomyocyte-based model to clinical biomarkers of disease outcome Akdis D, Saguner AM, Shah K et al. Eur Heart J. 2017 May 14;38(19):1498-1508 https://doi.org/10.1093/eurheartj/ehx011 Humangenetik zwischen Wunsch und Kind – Chancen und Grenzen Symposium des MGZ (Medizinisch Genetisches Zentrum) München am 27.01.2018 in München Mitschrift (PDF) Genetik und Möglichkeiten der Präimplantationsdiagnostik (PID) Vortrag Dr. med. Teresa Neuhann (MGZ - Medizinisch Genetisches Zentrum München) am 30.01.2016 bei der ARVC-Selbsthilfe in München Vortragsfolien (PDF)

Letzte Aktualisierung: 04.10.2024

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